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Damit werden junge Menschen süchtig gemacht: Snus-Importe explodieren – Zahnärzte warnen vor den Schäden

Pascal Ritter, CH Media, 2.10.2020

Snus schiebt man unter die Oberlippe. Dort kann es zu Zahnfleischschwund führen. © Chris Iseli

Szene an einem Kiosk in der Stadt Zürich: Eine junge Frau verschenkt Snusdöschen mit Wildbeergeschmack. Dazu gibt es einen Flyer mit dem Titel «rauchfreies Nikotin, was ist das?». Snus sind nikotinhaltige Säcklein, die man sich unter die Oberlippe klemmen kann. Früher waren sie praktisch nur in Schweden bekannt, inzwischen breitet sich der Mundtabak in der Schweiz aus.

Die Importe explodieren. Seit dem Jahr 2009 hat sich die Einfuhr von Kau-, Rollen- und Schnupftabak aus Schweden mehr als verzehnfacht. Snus wird vom Zoll nicht gesondert erfasst, von den Importen im Wert von über 20 Millionen Franken im Jahr 2019 aus Schweden, dürfte der allergrösste Teil aber auf das nordische Suchtmittel entfallen. Schweden ist der Haupt­produzent von Snus.

Neue Zielgruppe: Junge und Frauen

Die Grundlage für den Anstieg der Snuseinfuhr legten findige Importeure, die ein Verbot umgingen. Denn eigentlich war die Einführung und Abgabe von «Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch» per Tabak­verordnung verboten. Kreative Deklarationen als Kau- oder Lutschtabak halfen bei der Umgehung des Verbots.

Im letzten Jahr kippte das Bundesgericht schliesslich den Snus-Bann. Es fehle eine gesetzliche Grundlage, um einzelne Genussmittel zu verbieten. Das Urteil war der Startschuss zu einer Snus-Offensive der Tabakkonzerne. Kioskbetreiber stellten spezielle Kühlschränke auf, um die runden Snusdöschen zu präsentieren. Plakate werben für den Nikotin-Kick.

Die Marketingabteilungen haben eine neue Zielgruppe entdeckt. War Snus früher vor allem bei jungen Männern aus Sportarten wie Eishockey oder Handball beliebt, richten sich neue Geschmacksrichtungen wie «Tropic Gold» oder «Wild Purple» nun an junge Frauen. Weisse Snuspäckchen mit künstlichem Nikotin ersetzen zudem die braunen Tabak­säckchen von früher.

Bei Präventionsfachleuten kommt die Werbeoffensive schlecht an: «Tabakproduzenten versuchten schon immer, ein möglichst junges Publikum zu gewinnen, um die jungen Menschen süchtig und damit zu permanenten Käufern zu machen», sagt Markus Meury von der Stiftung Sucht Schweiz. Die Lungenliga fordert, dass solche Werbeaktionen verboten werden und bedauert, dass dies im Tabakproduktegesetz, das auf dem parlamentarischen Weg ist, nicht vorgesehen sind.

Auch Nichtraucher greifen zum Zigaretten-Ersatz

Die Verteilaktion von süssem Snus am Kiosk findet schweizweit in rund 400 Verkaufsstellen statt und dauert bis zu vier Wochen, wie ein Sprecher von British American Tobacco sagt. Auf dem Werbezettel zur Wildbeer-Geschmacksrichtung wird Snus als Alternative zum Rauchen angepriesen.

Der Tabakkonzern erklärt die Verteilaktion als «Schadensminderungs­­ansatz», der erwachsenen Nikotinkonsumenten die Möglichkeit geben solle, «ein rauchfreies, diskreteres und erwiesenermassen weniger belastendes Alternativprodukt zum Rauchen zu testen und gegebenenfalls auf dieses umzusteigen».

Allerdings greifen auch Nichtraucher zum Trendprodukt. Ein Beispiel dafür ist Andrea (Name geändert), eine dreissigjährige sportliche Schweizerin. Über Freunde, die Snus direkt aus Schweden importierten, kam sie vor rund acht Jahren auf den Geschmack. Eine Sucht entwickelte sie aber erst, als die Snusdosen auch an Schweizer Kiosken angeboten wurde. «Am Anfang wurde mir schlecht davon, aber jetzt klemme ich mir regelmässig ein Snus unter die Lippe», sagt sie.

Wundes Zahnfleisch, aber gesünder als Rauchen

Den Snus-Boom bemerken mittlerweile auch die Zahnärzte. Snus-Konsumenten kommen mit wundem oder schwindendem Zahnfleisch in die Praxis. «Wir sehen mehr Zahnfleischrückgänge und mehr Leukoplakien», sagt Christoph Ramseier, Fachzahnarzt für Parodontologie an der Universität Bern. Leukoplakien sind weissliche Veränderungen der Schleimhäute, die bei vielen Snuskonsumenten am Ablageort des Beutels auftreten. In seltenen Fällen kann sich daraus Krebs entwickeln. Allerdings zeigten bisherige Studien keinen statistischen Zusammenhang zwischen Snusen und Krebs. Die weissen Stellen auf der Mundschleimhaut können sich nach Absetzen des Snus wieder zurückbilden, der Zahn­fleischschwund aber bleibt. «Last but not least muss hervorgehoben werden, dass Snus (wie auch andere rauchfreie Tabakprodukte) nikotinabhängig macht», sagt Zahnarzt Christoph Ramseier.

British American Tobacco schreibt, schwedische Männer – unter denen der Snuskonsum seit mehr als einem Jahrhundert deutlich verbreiteter sei als das Rauchen – hätten im europäischen Vergleich mit Abstand die geringste Wahrscheinlichkeit, tabak­bedingt zu erkranken. Das Produkt habe zudem den Vorteil, das es auch unter der Corona-Maske konsumiert werden könne.

Snus-Konsumentin Andrea will aufhören. «Es wird mir schlicht zu teuer», sagt sie. Ein Döschen kostet zwischen 7 und 10 Franken. Ein Gratisdöschen am Kiosk wurde ihr auch schon angeboten. Sie hat abgelehnt. Es war das falsche Aroma.