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Was weiss man, wo sich die Menschen anstecken?

Diese Statistik stammt aus dem deutschen Robert Koch Institut vom 20. Oktober. Die Zahlen werden jedoch in der Schweiz nicht wesentlich anders aussehen. Berücksichtigt werden dabei zwar lediglich Fälle, die man eindeutig einem Ausbruchsgeschehen zuordnen und insgesamt mit mindestens fünf Fällen in Verbindung gebracht werden können. Wichtige Anhaltspunkte dafür, wo Ausbrüche vermehrt stattfinden, liefert die Grafik aber trotzdem.

Die Ausbruchscluster mit fünf oder mehr Fällen im Zeitverlauf RKI, 20.10.2020

m Vergleich zu den Anfangswochen der Pandemie fällt auf: Die Anteile der Ansteckungsorte haben sich verschoben. Im März und April noch waren es großteils Alten- und Pflegeheime sowie Krankenhäuser und Flüchtlingsheime, die für größere Ausbruchsgeschehen verantwortlich waren. Seither sind diese Zahlen sowohl absolut als auch relativ massiv zurückgegangen; der Anteil der Ausbrüche in Krankenhäusern war zwischenzeitlich gar so gering, dass er im RKI-Balkendiagramm mit bloßen Auge nicht mehr sichtbar ist. Inzwischen zählt das RKI in Kliniken genauso wie in Alten- und Pflegeheimen wieder mehr Cluster-Ansteckungen. Die Zunahme fällt bislang allerdings deutlich niedriger aus als noch zu Beginn der Pandemie. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass es dank des stetig wachsenden Erfahrungsschatzes im Umgang mit dem Virus inzwischen besser gelingt, den Erreger aus den besonders gefährdeten potenziellen Corona-Brennpunkten herauszuhalten. So gelten in Kliniken, Alten- und Pflegeeinrichtungen seit Monaten besonders strenge Hygienekonzepte, die Ansteckungen verhindern sollen.

US-Wissenschaftler haben im Fachblatt «Science» drei Treiber ermittelt, die hauptsächlich für die Ansteckungen verantwortlich seien. Die Autoren der Studie namens «Die Treiber der Sars-CoV-2-Ausbreitung» sprechen von total drei wesentlichen Treibern. Diese böten Ansatzpunkte, um die Pandemie wirksam einzudämmen.

  • Private Haushalte: Die meisten Menschen scheinen sich im privaten Umfeld mit dem Coronavirus anzustecken. Auch Behörden betonen immer wieder, dass Massnahmen gerade in diesem Bereich wichtig sind. Das Team um die Epidemiologin Elizabeth Lee von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore verweist auf mehrere Studien, die das eigene Zuhause als Risikozone bezeichnen. Denen zufolge seien 46 bis 66 Prozent der Ansteckungen haushaltsbasiert. Eine grosse Studie aus Südkorea kommt zu einem ähnlichen Schluss: Die Ansteckungsgefahr in einem Haushalt ist offenbar sechsmal höher als bei anderen engen Kontakten. Ein vergleichbar hohes Infektionsrisiko stellen daher auch sonstige Einrichtungen mit engem Zusammenleben dar, darunter Gefängnisse, Sammelunterkünfte, Pflegeeinrichtungen.
  • Anlässe: Dass das Ansteckungsrisiko in den Familien gross ist, ist durchaus nachvollziehbar. Es stellt sich jedoch die Frage, wie das Virus überhaupt in die Familien gekommen ist. Hauptsächlich verantwortlich dafür sind anscheinend Anlässe wie Tanzkurse, Chorproben, Gottesdienste, Hochzeiten, Klubs oder auch gewisse Fachbetriebe wie die fleischverarbeitende Industrie. Eine wichtige Rolle spielen sogenannte Superspreader-Events, bei denen ein einzelner Infizierter bei einer grösseren Zusammenkunft eine Vielzahl von Menschen ansteckt. Dies teilweise, ohne dass die infizierte Person von der Ansteckung weiss, geschweige denn Symptome aufweist. Das führt zu unvorsichtigem Handeln und rascher Verbreitung über eine Vielzahl von neuen Virusträgern.
  • Reisen: Pendler- und Ausflugsverkehr gelten als weitere Ausbreitungsform, die das Virus fortschleppt. Besondere Gefahr gehe dabei von längeren Reisen über grössere Distanzen aus, sagen die Forscher. Schon wenige Einzelreisende hätten dazu führen können, dass sich die Pandemie trotz früher Reiseverbote rund um den Erdball auszubreiten vermochte. Strikte Reisebeschränkungen hätten insbesondere in China gezeigt, dass es gelingen könne, das Virus einzudämmen.
Das Virus wird meist innerhalb von Haushalten und haushaltsähnlichen Umgebungen übertragen. Ein abnehmender Anteil der Übertragungsereignisse findet aufgrund der menschlichen Mobilität über immer grösseren Distanzen statt, aber diese Ereignisse werden für die Aufrechterhaltung der Pandemie immer kritischer. GRAFIK: N. CARY/SCIENCE

Das Virus wird meist innerhalb von Haushalten und haushaltsähnlichen Umgebungen übertragen. Ein abnehmender Anteil der Übertragungsereignisse findet aufgrund der menschlichen Mobilität über immer grösseren Distanzen statt, aber diese Ereignisse werden für die Aufrechterhaltung der Pandemie immer kritischer. GRAFIK: N. CARY/SCIENCE

Die Autoren der Studie betonen, dass es noch viele offene Fragen gebe. So sei das Übertragungsrisiko in Restaurants oder beim Einkaufen so wenig geklärt wie die Wirksamkeit von Massnahmen zur Eindämmung von Übertragungen in diesem Zusammenhang.

Zusammengefasst machen somit die Vorschläge der Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK Sinn, das öffentliche Leben zu verlangsamen und die Wirtschaft, Bildung und das elementarste gesellschaftliche Leben weitergehen zu lassen. Wir sollten uns deshalb in der Freizeit beschränken und Kontakte, die nicht essenziell sind, unterlassen. Wir werden deshalb in den kommenden Tagen mit neuen Auflagen in diesem Bereich zu rechnen haben. Jetzt wieder einen generellen Lockdown zu verhängen, wäre jedoch für die Wirtschaft verheerend. Die Schweiz ist zurecht stolz auf ihren Föderalismus. Lokale Hotspots müssen mit lokalen Massnahmen gekämpft werden, und vor allem brauchen Risikogruppen eine engere Betreuung. Das führt zwangsläufig zu einen Flickenteppich an Regeln. Der Bund muss die Leitplanken setzen, aber er sollte kein Mikromanagement betreiben wie im Frühjahr. Das Gebot war schon vor dem Anstieg der Infektionszahlen: Wir müssen mit dem Virus leben lernen. Das hat sich nicht geändert.